Missverständnis Nummer 4: Shades of Grey schlägt klare Dominanz und Unterwerfung als Beziehungsmodell vor, wovon sich Millionen Frauen angezogen fühlen.
Die sinngemäße Vertreterin dieser Aussage ist die Soziologin Eva Illouz. Ansonsten habe ich solche Meinung eher in Forenbeiträgen und Rezensionen vernommen. Und da auch nicht gerade zuhauf. Demnach seien die modernen Partnerschaften von Rollenunsicherheit geprägt. Doch vor allem Frauen sehnten sich nach Unterwerfung, die sie in jener Geschichte dargestellt bekommen, damit eine unkomplizierte Rollenordnung und letztlich Stabilität wiederhergestellt wird.
Aber wie auch schon andere geschrieben haben, wie in diesem Zeit-Artikel, spielt Anastasia die Rolle der Unterworfenen eben nicht. Und zwar zu keinem Zeitpunkt, möchte ich hinzufügen. Christian Grey hat Anastasia nie der Freiheit beraubt, denn sie konnte zu jedem Zeitpunkt machen, was sie wollte und gehen, wann sie wollte. Nennen wir’s beim Namen: In dem einen Fall wäre es ansonsten nämlich Vergewaltigung gewesen, in dem anderen Fall Freiheitsberaubung, also Straftaten. Für eine wirklich unterworfene Frau gibt es keine Verweigerung, kein Safeword, keine Wahl. Mit der Figur der Anastasia hatte das also nichts zu tun. Und der Vertrag zwischen Anastasia und Christian kam ja nicht zustande. Deshalb trifft die oben genannte Behauptung zumindest nicht in Bezug auf Shades of Grey zu.
Es sei auch noch auf eine Stelle hingewiesen: »Außerhalb des Spielzimmers wünsche ich mir sehr wohl, dass du mir Paroli bietest.« (Christian zu Ana. Shades of Grey, Geheimes Verlangen, Deutsche Erstausgabe 2012, Seite 467) Hört sich das nach genereller Dominanz an?