Mad Max II: Der Vollstrecker und Teil IV, Mad Max: Fury Road im Vergleich: Die Kunst, mit wenigen Worten viel zu sagen
Warum Mad Max?
Die Mad Max-Filme gelten als typische Vertreter des Postapokalypsen-Genres und genießen Kultstatus. Sie handeln von dem Cop Max Rockatansky, der durch einen brutalen Mord an seiner Familie, getrieben von unheilbarem Schmerz, als Rastloser durchs Ödland zieht, reduziert auf einen einzigen Instinkt, den zu überleben.
Die Welt von Mad Max hat schon seit den alten Teilen eine hohe Faszination auf mich ausgeübt. So ist auch das Setting meiner Aemeas-Romane in einer postapokalyptischen Welt angesiedelt, wenngleich eine Menge Fantasy und Science-Fiction hinzukommen.
Gewiss, primär haben mich die herausragend choreographierten automobilen Schlachten und die Auto-, Outfit- und Set-Designs in den Bann gezogen. Mad Max: Fury Road heimste sich für die handwerkliche Umsetzung immerhin ein paar Oskars ein.
Worauf ich mich hier allerdings konzentrieren möchte, ist eine tiefergehende Ebene. Denn neben der grandiosen Action warten die Filme teilweise mit einem mehrschichtigen Inhalt auf, in der Zwischenmenschlichkeit eine besondere Rolle zuteilwird.
Hinweis:
Der folgende Text enthält kleine Spoiler, da es notwendig ist, um auf die latente Handlung einzugehen. Ich gehe davon aus, dass die beiden Filme schon gesehen wurden. Falls noch nicht, halten sich die Spoiler in akzeptablen Grenzen, und den Beitrag kann man auch verstehen, ohne die Filme zu kennen.
Warum der Vergleich dieser beiden Teile?
Die Handlung ist – oberflächlich gesehen – simpel und in beiden Teilen ähnlich: Bedrohte Menschen, die genug von der Barbarei gegen sich haben, wollen sich einer oder mehrerer Wüstengangs entledigen, was schließlich in einer fulminanten Materialschlacht von Fahrzeugkolonnen im Showdown mündet. Klingt zunächst nach „Hirn aus, Film ab“.
Aber dem muss ich deutlich widersprechen, denn gerade Teil zwei und vier arbeiten mit Metaphern, und das meiner Meinung nach auf eine geniale Weise. Also wie wird das umgesetzt?
Die Exposition in beiden Filmen: Der endlose Schmerz
In Mad Max IV erfährt man gleich zu Beginn, dass Max´ Familie ermordet wurde und er selbst natürlich ein schweres Trauma hat. In Mad Max II weiß der Zuschauer das ja normalerweise bereits durch den vorherigen Teil, aber auch hier nochmals durch den Vorspann. Dass Max da keine Lust auf viel Small Talk in einer barbarischen Welt zeigt, versteht sich von selbst. Er redet zunächst nur, wenn es notwendig ist.
Zwischenmenschlichkeit in Mad Max II – Der Vollstrecker
Die Spielruhr als Metapher
Die Erweckung: Gleich zu Beginn des Films findet Max bei einer verrotteten Leiche eine Spieluhr. Er spielt die Musik ab, immer schneller. Ein zaghaftes Lächeln legt sich auf seinen Mund, denn für einige Augenblicke wird in ihm etwas wachgerufen, das er normalerweise tief in sich vergraben hat: das Gefühl zwischenmenschlicher Wärme und Liebe – Erinnerungen an seine eigene Familie. Doch zusätzlich zur Geburtstagsmelodie der Spieluhr wird im Film nach und nach eine melancholische Musik eingespielt. Die schlimme Erinnerung daran, dass seine Familie von Verbrechern ermordet wurde, bemächtigt sich zunehmend seines Bewusstseins. Sein Gesicht wird immer verstörter, das Kurbeln der Spieluhr aggressiver, so als würde er verzweifelt an jemandem rütteln, um eine Antwort darauf zu erhalten, wer er selbst ist. Er kann die Frage nicht beantworten, so steckt er die Spieluhr erst einmal ein.
Ich habe selten gesehen, dass das Innenleben einer Figur derart meisterhaft inszeniert worden ist, ohne ein Wort zu ver(sch)wenden. Und hier haben wir es immerhin mit einer Reihe zu tun, die primär auf brachiale Action ausgerichtet ist.
Die Weitergabe
Als Max es schafft, eine gut gesicherte Festung zu betreten, begegnet er einem verwilderten Jungen, der nur tierische Laute von sich gibt. Dieser tötet mit seinem Boomerang den Liebesdiener des Gangmitglieds Wez. Später zeigt jener Junge stolz seine Waffe Max in der Hoffnung, ihn zu beeindrucken. Doch Max hingegen zieht die Spieluhr hervor, kurbelt die Melodie herunter und bringt auf diese Weise den Jungen zum Lächeln. Dies ist ein Akt zwischenmenschlicher Wärme. Max besiegelt ihn damit, dass er die Spieluhr als Symbol für diese Zwischenmenschlichkeit schließlich dem Jungen schenkt und dieser außer sich vor Freude ist. Bedeutend ist hier, dass Max dieses Mal nicht von den schrecklichen Verlustgefühlen wegen seiner eigenen Familie heimgesucht wird. Ich rufe in Erinnerung: Beim ersten Mal, als er die Spieluhr verwendet hatte, war er alleine. Das Gefühl von Zwischenmenschlichkeit und Wärme konnte er nur mit verstörenden Erinnerungen an seine Familie teilen. Diese Verbindung von schönen und schrecklichen Emotionen schien dabei untrennbar. Ein Grund für Max also, sich zukünftig sich dem Gefühl von Mitmenschlichkeit und Mitleid fernzuhalten. Bis er zur Festung gelangt, verhält sich Max auch eiskalt. Er zeigt nicht einmal besondere Regung, als er durch ein Fernglas beobachtet, wie eine Frau geschändet und ermordet wird. Dann schnappt er sich einen Schwerverletzten und nutzt dessen prekäre Lage aus, um einen Deal mit ihm auszumachen, um sich Zutritt zu einem ansonsten unzugänglichen Lager zu verschaffen. Es wäre also nur konsequent gewesen, auch bei dem Jungen keine Zwischenmenschlichkeit zu zeigen und damit auch nicht die Spieluhr hervorzuholen, die ihn zuvor an seinen inneren Konflikt erinnert hat. Aber er macht es. Es hat eine Entwicklung vollzogen, doch deswegen öffnet er sich noch lange nicht jedem Menschen, wie sich gleich zeigt.
Die Grenze
Pappagallo, der Anführer der Festung, appelliert an Max’ Menschlichkeit, als er ihn um Hilfe bittet, den Festungsbewohnern zur Flucht vor der marodierenden Gang zu verhelfen. Da er zu Max nicht durchdringt, bohrt er tief in dessen innerer Wunde, indem er ihn auf den Verlust seiner Familie anspricht. Der Schmerz, den Max für kurze Zeit vergessen konnte, sucht ihn erneut gänzlich heim. Zwischenmenschlichkeit ist für ihn ab nun wieder untrennbar mit Verlustschmerz verbunden. Dem Jungen, der ihn begleiten will, reißt er die Spieluhr aus der Hand und wirft sie weg, um den Jungen loszuwerden. Die Zwischenmenschlichkeit und die Uhr als deren Symbol gibt er hier nicht mehr wie vorhin weiter – er weist sie entschieden ab.
Max ist erst einmal wieder der alte: ein Getriebener, der glaubt, kein Glück mehr mit anderen Menschen finden zu können.
Das offene Ende seines Charakters
Max versucht, weiterzuziehen, doch bei dem Versuch wird er von Humungus’ Gang fast getötet und verliert sein Auto. Er ist hilflos, wird aber von einem Festungsbewohner zurücktransportiert und versorgt.
Erst jetzt bietet Max den Festungsbewohnern an, ihnen bei der Flucht zu verhelfen. Hierbei ist die Begründung interessant, die er ihnen für seinen Gesinnungswandel liefert, nämlich, dass er keine andere Wahl hätte. Gewiss, er ist in einer fast ausweglosen Situation, die ihn dazu zwingt, den anderen zu helfen, um seine eigene Haut zu retten. Aber ob er vielleicht auch deshalb keine andere Wahl sieht, weil er sich ihnen innerlich verpflichtet fühlt, bleibt hier meiner Ansicht nach zumindest offen. Ich denke, diese Frage muss hier auch gar nicht aufgelöst werden. Vielleicht macht es das Ende, so wie es ist, umso interessanter.
Zurückgewinnung der Menschlichkeit in Teil IV, Mad Max: Fury Road
Der Beginn
Anfangs traut Max niemandem über den Weg. Er hält allen, wenn möglich, lieber eine Doppelläufige vor die Nase und weist sie mitunter über Grunzlaute an (sprich: Er erpresst sie). Das zeigt sich, als er das erste Mal auf Frauen trifft, die von Immortan Joes Harem geflohen sind. Man wird zwangsweise an ein Wildschwein erinnert. Das Grunzen fungiert hier als Ausdruck des Animalischen, des rein tierischen Instinkts zu überleben und als Entfremdung vom Menschsein.
Das Wohl Unschuldiger geht an ihm vorbei, als wäre es nichts. Selbst eine hilfsbedürftige Schwangere ist ihm anfangs egal, er verwundet sie sogar, wenn auch nur durch einen versehentlichen Streifschuss an der Wade. Als sich Max und Furiosa das erste Mal ‚begrüßen‘, bedroht er sie, will ihr den Truck klauen und sie im Stich lassen. Und das, obwohl er weiß, dass der Oberbösewicht Immortan Joe sie dann in die Hände bekommen und grausam zu Tode foltern würde. Es passt hier bestens, dass Max einen stählernen Maulkorb aus der Zitadelle trägt. Dort hat bereits ein Warboy, ein Gang-Mitglied des Bosses Immortan Joe, einen anderen vor Max gewarnt mit dem Hinweis, dass der Universalspender (also Max) einen Maulkorb trägt und daher ein „wildes Tier“ sei. Wenn sogar ein durchgeknallter Warboy jemanden als wildes Tier bezeichnet, dann sollte man das besser erst einmal so stehen lassen …
Wichtig ist hier Folgendes: Der Maulkorb dient als Metapher für die Entmenschlichung, für die Reduktion auf das Tierische. Und das wird später noch wichtig.
Denn als Max Furiosa den Truck abnehmen will und es nicht schafft, weil die gewiefte Frau eine Motorsperre im Gefährt eingebaut hat, deren Entsperrungssequenz nur sie kennt, müssen sie miteinander verhandeln. Furiosa bietet ihm an, den Truck zu starten, wenn Max sie dafür alle mitnimmt. Und er lehnt ab. Erst als Furiosa ihm anbietet, den Maulkorb loszuwerden, willigt er ein. Man fragt sich vielleicht, wäre Max nicht selbst in der Lage gewesen, sich des Maulkorbs zu entledigen? Natürlich schon.
Doch hier geht es um mehr: Denn ihm wird hiermit unterschwellig vorgeschlagen, das Symbol für seine Entmenschlichung abzulehnen und damit einhergehend die Menschlichkeit an sich zurückzugewinnen. Und etwas tief in ihm sagt da wohl Ja! Ich weiß, noch hört sich das wie eine bloße Vermutung an, aber ich werde sie erhärten.
Sukzessiver Vertrauensprozess
Hat jemand von Euch Leserinnen und Lesern eigentlich schon einmal ausprobiert, wie lange es dauert, mit einer Feile ein Schloss aufzubrechen? Ich zwar nicht, aber von einem Freund, der Maschinenbau studiert hat, weiß ich es: Stunden! (Ehm, er hat wirklich Maschinenbau studiert und nicht etwa das Knacken unbewachter Häuser, wie mancher von Euch im Hinterkopf haben könnte. Und es handelt sich auch wirklich um einen Freund und nicht etwa um mich selbst) In dem zweitausend PS starken Truck, den Furiosa extra zur Flucht vorbereitet hatte, hat sie nichts Besseres parat als eine niedliche Feile, um den Stahl des Maulkorbs zu durchtrennen? Na klar …
Dass Max hier eine Zeit lang benötigen soll, den Maulkorb loszuwerden, hat George Miller natürlich beabsichtigt. Max feilt immer wieder an dem lästigen Teil, und währenddessen ist der Ton zwischen Max und Furiosa sehr angespannt. Doch als er den Maulkorb endlich aufbekommt, ändert sich auch die Art der Kommunikation zwischen den beiden.
Wenn auch notgedrungen, verrät Furiosa ihm die Startsequenz, um die Motorsperre zu deaktivieren. Das Entscheidende ist, dass ihre Stimme überraschend weich klingt, als sie ihm dieses Geheimnis anvertraut. Und sie macht mit ihm das Signal aus, dass sie ihn „Idiot“ nennt, wenn er ihr aus der Patsche helfen soll. Hier scherzt Furiosa eindeutig, denn sie weiß, dass er kein Idiot ist, und Max versteht (durch Mimik ausgedrückt), dass sie es scherzhaft meint – weil er eben kein Idiot ist. Sich gegenseitig auf den Arm nehmen zu können, ohne sich darüber zu ärgern, ist ein Vertrauensakt. So etwas können nur Menschen, die dieselbe Wellenlänge beieinander wahrnehmen. Die nächste Stufe der freundschaftlichen Annäherung ist erreicht.
Die Besiegelung
Als Max und die Frauengruppe durch eine Schlucht vor einer Motorrad-Gang fliehen, übergibt Max der Führerin der Frauengruppe, Furiosa, erstmals eine Waffe. Ihre Blicke kreuzen sich, Max sieht sie eindringlich an. Hier hätten sie viel sagen können, aber ihre Blicke haben gereicht, um auszudrücken, dass das Vertrauen zwischen beiden nun besiegelt ist. Schöne Szene.